Coronavirus: Deutschland wappnet sich

eingestellt von Carolin am 24. März 2020 um 09:22 Uhr | Kategorie: Finanztipps

„Wir erleben die rasanteste Umkehr der Weltwirtschaft, an die ich mich erinnern kann.“
Dr. Ulrich Kater, Deka-Chefvolkswirt

Die Unsicherheit um das Coronavirus sorgt für Panik an den Finanzmärkten. Wie ernst ist die Lage?

Sehr ernst. Die wellenförmige Ausbreitung des Corona-Virus und die rigorosen Maßnahmen der Staaten zur Eindämmung des Virus sind für die Wirtschaft und dadurch auch für die Finanzmärkte eine große Herausforderung. Wir stehen in Deutschland vor einer Gesundheitskrise, deren Bekämpfung absolute Priorität hat.

Für die Entwicklung, die sich gerade abzeichne, gibt es noch keine treffende Bezeichnung, sagt der Deka-Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater. „Der Vergleich mit einer Naturkatastrophe ist aber auf jeden Fall angemessen.“ Mit dem Unterschied, dass wir es bei Corona mit einer weltweiten Situation zu tun haben.

Wie hoch sind die Belastungen für die Weltwirtschaft?

„Wir stehen am Rande einer Weltrezession“, sagt der Deka-Chefvolkswirt. Die Unsicherheiten über die weitere Ausbreitung des Coronavirus sind nicht wegzudiskutieren. Das Wachstum der Weltwirtschaft wird kurzzeitig deutlich langsamer, es könnte sogar zu einer kurzzeitigen Schrumpfung kommen.

„Alles steht und fällt mit dem weiteren Verlauf der Virusausbreitung“, sagt Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg. So wie es derzeit aussehe, können wir nicht von einer raschen und starken Erholung ausgehen, sondern von einem zähen Normalisierungsprozess über den Verlauf des zweiten Quartals hinweg.

„Alles steht und fällt mit dem weiteren Verlauf der Virusausbreitung.“
Uwe Burkert, Chefvolkswirt der LBBW

Die Liefer- und Absatzprobleme werden noch eine ganze Weile auf der Wirtschaft lasten. Insbesondere für Europa und speziell für Italien revidieren die Volkswirte ihre Wachstumsprognosen nochmals nach unten.

Was kommt auf den Mittelstand jetzt zu?

Teile des Mittelstands stecken schon mitten im Unwetter, andere werden folgen. Wir sind in einer Rezession. Umso wichtiger ist es, dem Mittelstand zu helfen, sich wetterfest zu machen und ihm mit Finanzierung und Liquidität verlässlich beizustehen.

Wie reagiert der deutsche Staat?

Er wappnet sich. Ebenso wie in der Eurokrise die EZB richtig gehandelt hat, tut es jetzt die Bundesregierung in der Coronakrise: Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier kündigten milliardenschwere Liquiditätshilfen für Firmen an. Das soll Unternehmen und Arbeitsplätze schützen. Scholz: „Wir werden jedes Mittel nutzen, das uns zur Verfügung steht.“ Es werde „nicht gekleckert, sondern geklotzt.“

Das sei ein „Whatever it takes“ der Bundesregierung, sagt Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka, und „genau die Nachricht, die es jetzt braucht, um selbsterfüllende Erwartungsspiralen zu durchbrechen.“

Damit sind auch kurzzeitige Hilfen für große Unternehmen sehr wahrscheinlich, die dies in dieser absoluten Ausnahmensituation benötigen. Kredite, Bürgschaften und Steuerstundungen für eine begrenzte Zeit der extremen Finanzbelastung sind jetzt gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen absolut sinnvoll. Kater: „Das Wichtigste ist jetzt, Unternehmen zu unterstützen und damit den Menschen die Sicherheit zu geben, dass ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt.“

Die Märkte schauen auf die Notenbanken. Werden die Maßnahmen der EZB reichen?

Die Europäische Zentralbank (EZB) konnte nur enttäuschen, zu hoch waren die Erwartungen im Vorfeld. „Aber damit tut man der EZB unrecht“, sagt Burkert. Sie geht die wahren Hemmnisse an und erleichtert die Bedingungen für die Kreditvergabe der Banken, zum Beispiel mit gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTROS) und Lockerungen der Bankenaufsicht.

Die kurzfristige Enttäuschung dürfte damit längerfristig einer Erleichterung weichen. Es sei gut, dass die EZB nicht einfach die Zinsen senkt, sondern dass schonend mit den Marktteilnehmern und dem Bankensektor umgegangen werde, sagt Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Das Maßnahmenpaket der EZB sei ein wichtiger, wesentlicher Schritt – dem sicher noch weitere folgen.

Muss ich damit rechnen, meinen Job zu verlieren?

Nein. Das Risiko ist zwar deutlich gestiegen – und je länger die wellenförmige Ausbreitung anhält, desto schwieriger wird die Situation. Das Parlament beschloss inzwischen im Schnellverfahren und einstimmig Kurzarbeit für Unternehmen zu erleichtern, die wegen der Corona-Krise gefährdet sind. Auch Leiharbeiter sollen Kurzarbeitergeld erhalten, Arbeitgebern die Sozialbeiträge für Kurzarbeiter erstattet werden.

Gibt es auch gute Nachrichten?

Ja. China und Südkorea entwickeln sich wieder deutlich besser, die Kapazitätsauslastung in der Industrie ist schon fast wieder auf dem Niveau vor der Krise. Die Erholung der chinesischen Industrie von den Folgen des Coronavirus-Ausbruchs nimmt dem Handelsministerium zufolge Fahrt auf. China will seinen Außenhandel stabilisieren. Dazu überlegt die Regierung, die Importe zu erhöhen.

Die chinesische Regierung hilft der Wirtschaft beispielsweise mit Steuererleichterungen und einem verbesserten Zugang zu Infrastrukturfinanzierungen. Die Coronavirus-Pandemie wird nach Einschätzung des leitenden medizinischen Beraters der chinesischen Regierung wahrscheinlich in seinem Land bis Juni vorbei sein.

Worin liegt die Chance?

Die neuen politischen Regelungen helfen, die langfristige Entwicklung unserer Volkswirtschaft zu verbessern und das Produktionspotenzial zu schützen. Burkert: „Jetzt wichtig sind zum Beispiel Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung.“ Diese Pläne liegen schon lange in den Schubladen – und können jetzt rascher angepackt werden.

Positiv sind auch die Möglichkeiten, die heute schon in der Digitalisierung und in der Produktivität im Homeoffice liegen. „Alles in allem sollten wir die Krise als Chance begreifen – und unseren Standort und unsere stabile Wirtschafts- und Bankenstruktur beschleunigt weiterentwickeln.“

Wie reagieren die Privatanleger auf Corona?

Besonnen. Bei kurzfristig ausgerichteten Investmentprofis stieg zuletzt die Nervosität, sie haben in den vergangenen Tagen einiges an Kapital von den Rentenmärkten abgezogen. Dagegen reagieren die Privatanleger ruhig, die Zuflüsse in die Deka-Fonds der Sparkassen halten an. An manchen Tagen summiert sich das auf mehrere Millionen Euro. Insgesamt beträgt das Fondsvermögen inzwischen mehr als 2,6 Milliarden Euro.

Wie gut ist der Mittelstand in Deutschland gegen eine Wirtschaftskrise gewappnet?

Die mittelständischen Unternehmen in Deutschland verfügen über eine relativ hohe Eigenkapitalquote. Sie lag in den vergangenen Jahren stabil um die 39 Prozent. Für das vergangene Jahr hat der Deutsche Sparkassen und Giroverband (DSGV) eine durchschnittliche Eigenkapital-Quote (Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme) von 38,8 Prozent berechnet.

Auch die Eigenkapitalrendite der Unternehmen, also das Betriebsergebnis im Verhältnis zum Eigenkapital, lag im vergangenen Jahr höher als 15 Prozent. Das heißt: Der Großteil der mittelständischen Unternehmen ist gut kapitalisiert und hat entsprechende Kapitalpuffer, um auch mal eine Durststrecke überstehen zu können.

Wie geht es diese Woche weiter?

„Die klassischen Wirtschaftsdaten werden in dieser Woche an den Märkten keine Rolle spielen, da sie lediglich in den Rückspiegel schauen“, sagt der Deka-Chefvolkswirt Kater. Vielmehr werde die Entwicklung der Corona-Krise zur Messlatte für die Finanzmärkte.

Da ist einmal die Ausbreitung der Krankheit selber. Dabei sollte in Europa der Höhepunkt der Neuinfektionszahlen etwas früher erreicht werden als in den USA. Aber auch in China wird sorgfältig beobachtet werden, ob die bisherige Beruhigung anhält.

Als zweites stehen die Entwicklungen der Finanzmärkte im Mittelpunkt. „Bei anhaltendem Abwärtsdruck an den Märkten sind weitere Maßnahmenpakete von Notenbanken und Regierungen zu erwarten, um die Verkaufsspiralen zu unterbrechen“, sagt Kater. Dabei rückt auch eine Aussetzung vom Handel an den Finanzmärkten für einige Stunden oder sogar Tage in den Bereich des Möglichen.

Wie sind die langfristigen Perspektiven?

Es bleibt bei der Einschätzung, dass es sich nur um vorübergehende Belastungen für die Weltwirtschaft handelt. Die Märkte werden kurzfristig sehr schwankungsanfällig bleiben. Das weitere Korrekturpotenzial ist aber begrenzt.

Die Belastungen des Coronavirus werden in den kommenden Monaten voraussichtlich nachlassen. Wenn der Infektionsverlauf in Europa demjenigen in China folgt, dann sollte auch hierzulande die Zahl der Neuinfektionen bald zurückgehen.

„Der negative Effekt auf die Konjunktur könnte mehrere Monate andauern“, sagt der LBBW-Chefvolkswirt Burkert. Doch wir gehen von einer Aufholung eines Teils der Nachfrage im zweiten Halbjahr aus. „Wir glauben nicht, dass die Pandemie die Weltwirtschaft oder Globalisierung in ihren Grundfesten erschüttern wird.“

Wenn sich der Trend so fortsetzt, ist Chinas Wirtschaft in sechs bis acht Wochen wieder auf voller Betriebstemperatur – vorausgesetzt, es gibt keine neuen Infektionswellen. Bis dahin sollte sich zeigen, ob und wie die Finanzmärkte die Kursrückgänge an den Aktien- und Ölmärkten verdaut haben. In dieser Zeit wird auch deutlich werden, ob die Maßnahmen von Notenbanken und Regierungen ausreichend Vertrauen schaffen können.

Worauf müssen Anleger jetzt achten?

Letztendlich wird auch diese Krise den gleichen Verlauf nehmen wie all die Krisen der vergangenen Jahrzehnte: Auf Panik folgt früher oder später erste Hoffnung, dann Erleichterung und schließlich eine durchgreifende Erholung. Insofern ist gerade in solch einer Situation für die Anleger in erster Linie Gelassenheit angesagt. Risikobereite Anleger können sogar schon überlegen, ob sie die niedrigen Kurse zum schrittweisen Einstieg in die Märkte nutzen wollen.

Breit diversifizierte Anlageportfolien sind auf die langfristige Geldanlage ausgerichtet. Und deren Basis bleibt bestehen: Am langfristigen trendmäßigen Aufwärtspfad der Weltwirtschaft kann eine solche Krise nicht rütteln.

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